Bild: Hartmut Wiehr

Zum Jahreswechsel 2023/24 war der Verkauf von VMware an das asiatisch-amerikanische Konglomerat Broadcom offiziell abgeschlossen worden. Der Hersteller Dell aus den USA hatte sich von seiner Tochter VMware, selbst erst vor einigen Jahren eingekauft, getrennt und dafür die Rekordsumme von 69 Milliarden Dollar kassiert. In einem Gespräch der diesjährigen Explore in Barcelona mit Prashanth Shenoy, Vice President, Project Marketing VCF Division bei Broadcom, wird die neue Strategie von VMware nach der Übernahme formuliert.

Broadcom, ein ursprünglich aus Singapur stammendes Unternehmen, hatte sich bis zur VMware-Übernahme einen etwas zweifelhaften Ruf als Aufkäufer und Resteverwerter von in wirtschaftliche Schwierigkkeiten geratenen IT-Unternehmen erworben – darunter CA oder die Enterprise-Sparte von Symantec. Ein für das Jahr 2018 geplanter Verkauf von Qualcomm an Broadcom war von der US-Regierung unter Donald Trump untersagt worden – aus "strategischen Gründen", wie es offiziell hiess.

Das Geschäftsmodell von Broadcom hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich auf die Entwicklung von Chips für Modems, Funknetze sowie Ethernet- und Micro-Controller gestūtzt. Das Unternehmen war beim Jahresumsatz nach Qualcomm und Nvidia der drittgrösste Anbieter von Mikrochips ohne eigene Fertigung gewesen.

Seit der Übernahme von VMware sind – ganz im Gegensatz zu den eher pessimistischen Prognosen vieler Marktbeobachter, die von einer Art streng kommerzieller "Resteverwertung" nach dem Modell der CA- und Symantec-Übernahmen ausgegangen waren – eine Reihe von Veränderungsmassnahmen in Gang gesetzt worden, wie man sie Broadcom bisher nicht zugetraut hatte.

Virtualisierung laut CEO Hock Tan die zentrale Technologie-Strategie von Broadcom/VMware

Broadcom-CEO Hock Tan hat jetzt nach ein paar Monaten unter dem gemeinsamen Broadcom-Dach die Strategie für die neue Tochter VMware skizziert. Wesentliche Elemente sind demnach: "In den 18 Monaten, in denen wir VMware evaluiert und übernommen haben, haben wir uns alles angeschaut, um zu erkennen, was wir brauchen, damit wir für unsere Kunden mehr Wert schaffen können. Nachdem die Übernahme Ende November 2023 abgeschlossen wurde, haben wir gezielt gehandelt, um den Nutzen für unsere Kunden zu erhöhen. Wir haben unser Software-Portfolio, unseren Go-to-Market-Ansatz und die gesamte Organisationsstruktur überarbeitet. Wir haben geändert, wie und über wen wir unsere Produkte verkaufen."
Darüber hinaus sei man sich darüber im Klaren, dass das Ausmass an Veränderungen bei VMware auf der Seite der Kunden und Partner "verständlicherweise ein gewisses Unbehagen ausgelöst hat". Aber alle diese Massnahmen hätten dem Ziel gedient, Innovationen schneller umzusetzen und die Geschäftsbeziehungen mit Broadcom zu vereinfachen. Mit VMware Cloud Foundation (VCF) wurde eine Plattform für zukünftige Innovationen geschaffen: "Es ist die Lösung, die uns helfen wird, die Geschäftsergebnisse zu erzielen, die unsere Kunden mir direkt als ihre höchsten Prioritäten genannt haben. VCF ist eine vollständig modernisierte Plattform für die Cloud-Infrastruktur. Es handelt sich um eine komplett software-definierte Compute-, Netzwerk-, Speicher- und Verwaltungslösung. Sie ist besser integriert, so dass unsere Kunden den vollen Nutzen aus unserer Technologie ziehen können."

Mit VCF sollen die Kunden ein hocheffizientes Cloud-Betriebsmodell erreichen, das die Skalierbarkeit und Agilität einer öffentlichen Cloud mit der Sicherheit und Resilienz einer privaten Cloud verbindet: "Wir glauben, dass dies für den durchschnittlichen Unternehmenskunden, verglichen mit den ständig steigenden Kosten einer öffentlichen Cloud, zu niedrigeren Betriebskosten möglich ist. Wir haben den bisherigen Listenpreis für Abonnements um die Hälfte gesenkt und die Support-Leistungen erhöht, damit mehr Kunden von VCF profitieren können."

Drei verschiedene Produkt-Portfolios sollen der VCF-Plattform einen Mehrwert verleihen und sie wettbewerbsfähig gegenüber aktuellen Public Cloud-Angeboten machen: "Erstens beschleunigt Tanzu die Anwendungsentwicklung, Bereitstellung und Verwaltung von Workloads in Containern. Zweitens bringen Anwendungs-Netzwerke und Security verteilte Firewall- und Bedrohungsinformationen sowie Lastausgleich in diese Infrastruktur. Und drittens erweitert Software-Defined Edge die Public Cloud bis an den Rand der Unternehmen."

Gespräch mit Prashanth Shenoy, Vice President, Project Marketing VCF

In Barcelona wurde im Gespräch mit Prashanth Shenoy, Vice President, Project Marketing VCF Division bei Broadcom, die neue Strategie von VMware nach der Übernahme deutlich formuliert. Shenoy, seit drei Jahren bei VMware und jetzt bei Broadcom, hat den Umbruch aus nächster Nähe mitgemacht, wie er lebhaft schildert. Und Shenoy versucht, den Eindruck zu erwecken, als sei sein neues Unternehmen weniger Marketing-getrieben, als es oft für aussenstehende Beobachter wie zum Beispiel Journalisten der Fall sei: "Das mit 'Marketing-getrieben' höre ich eigentlich zum ersten Mal so. Ich kann nur auf unseren CEO Hock Tan verweisen, der kein Fan von reinem Marketing ist. Tan sagt: 'Man stellt auf seriöse Weise Produkte her oder man rūhrt ganz simpel die Werbetrommel.' Broadcom sieht sich als seriösen Hersteller."

Das betreffe auch die verschiedenen Aquisitionen, die Broadcom nun hinter sich hat. Die Geschichte von Broadcom ist auch eine Geschichte von solchen Zukäufen – in der Regel nur bedacht darauf, Umsatz und Gewinn zu steigern, auch wenn viele frühere Kunden auf diesem Weg aussteigen. Für Computer Associates (CA) hat man zum Beispiel etwa 18 Milliarden Dollar bezahlt, und dann verschwand CA schnell aus dem Blickfeld. Dieser Eindruck vom reinen Zukäufer Broadcom hat sich bei vielen Personen im IT-Umfeld fest gesetzt. Shenoy nimmt dazu Stellung: "Die Strategie von Broadccom war eigentlich das glatte Gegenteil von Marketing. Reines Marketing besteht nun einmal aus viel Getöse rund um Produkte und Services – und die eigentlichen Vorteile geraten schnell ins Hintertreffen. Broadcom unterscheidet sich grundsätzlich von einer solchen Strategie. Ich selber komme ja von VMware. Und wir legen nach wie vor grossen Wert auf R&D (Research and Development) und geben sogar 15 Prozent unserer Umsätze dafür aus. Das machen nur sehr wenige IT-Hersteller."

Und Shenoy fügt hinzu: "Broadcom hat diese Strategie schon vor dem Kauf von VMware verfolgt. Es braucht nun einmal Investitionen in Marketing und Sales, um wirklich am Markt erfolgreich zu sein. Man muss sicherlich nach einer Übernahme alle Teilbereiche genau überprüfen, inclusive der reinen Anzahl von Produkten, die man weiterhin auf den Markt bringen will. Die Broadcom-Strategie ist darauf ausgerichtet, sich auf weniger, aber besonders wichtige Produkte zu konzentrieren."

Diese Ausrichtung wurde bei früheren Akquisitionen weniger konsequent umgesetzt, wie Shenoy auf Nachfrage konzediert. So war CA vor allem auf Mainframes bei den Kunden ausgerichtet, es gab weniger Spielraum für alternative Strategien in diesem ausgereiften Marktsegment. Bei VMware dagegen sei der Markt vollständig unterschiedlich aufgebaut: "Wenn man VMware-Kunden befragt, geht es vor allem um Virtualisierung in neuen Umgebungen. Aber mit der Zeit ist die Anzahl von VMware-Bundles auf mindestens 8.500 angestiegen. Hier mussten wir korrigierend eingreifen." VMware Cloud Foundation ist auf diesem Hintergrund zu sehen.

Nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch die zugrunde liegende Strategie von Broadcom hat sich im letzten Jahr geändert. Viele Beobachter, Journalisten und Analysten hatten zunächst erwartet, dass VMware und seine Virtualisierungstechnologien und -erfahrungen nach kurzer Zeit von der Bildfläche verschwinden würden. Shenoy antwortet darauf: "Broadway wollte wirklich Geld ausgeben, um diese Wahrnehmung vieler Menschen zu ändern. Wir haben Unmengen von Geld in Marketing gesteckt." Aber im letzten Jahr wurden auch Unmengen sehr kritischer Meinungen in IT-Medien veröffentlicht. Einige sprachen davon, dass viele Kunden die neue VMware verlassen wollten.

Shenoy erklärt, dass das Unternehmen gezwungen war, einige Teile der früheren Angebote zu streichen, nur um den gesamten Ansatz der Virtualisierung zu retten. In der Tat seien viele Kunden, mit denen er nach dem Kauf gesprochen hatte, sehr besorgt um die Zukunft der spezifischen Virtualisierungsvariante von VMware gewesen. Broadcom sei sich sehr schnell dessen bewusst gwesen – nicht nur über ihre Sorgen, sondern auch über ihre Verärgerung. Und Shenoy fügt hinzu: "Wenn man jetzt mit Kunden auf diesem Event in Barcelona spricht, begreift man auch, dass sich die Situation wieder geändert hat. Viele haben verstanden, dass Broadcom nicht nur Marketing-Bullshit verbreitet, sondern an realen Lösungen arbeitet."

Auf die Bemerkung, dass sich Broadcom in den letzten Monaten verändert habe, antwortet Shenoy freimütig: "Ja, absolut." Das Unternehmen habe verstanden, dass man gegenüber den Kunden anders auftreten müsse. Ansonsten würde man die getätigte Investition von 69 Milliarden Dollar ernsthaft gefährden. Man könne nicht so einfach früheren Spielregeln folgen, die man in der Vergangenheit erfolgreich angewendet habe. Dazu habe jetzt auch beigetragen, dass der Broadcom-CEO Hock Tan mit sehr vielen Kunden persõnlich gesprochen habe. Man sei als Hersteller nicht nur in einem Elfenbeinturm herumgesessen und habe blindlings irgendwelche Customer Playbooks befolgt, sondern habe sich konkret auf die neue Situation eingestellt.

Die offiziellen Besucherzahlen der ersten Broadcom/VMware-Veranstaltung in Europa wurden mit 5.000 Teilnehmern angegeben – in etwa so viel wie vor einem Jahr. Bei den Ausstellern in einer eigenen Halle waren es deutlich weniger als vor einem Jahr – dafür war Broadcom/VMware gleich mehrfach vertreten.

Mehr als 500.000 Kunden
"VMware hat mehr als 500.000 Kunden und zählt alle grossen Cloud-Anbieter zu seinen Partnern, darunter Amazon, Microsoft und Google." (New York Times, 26. 5. 2022)

Broadcom-CEO Hock Tan
Broadcom-CEO Hock Tan
Prashanth Shenoy, Vice President, Project Marketing VCF Division bei Broadcom
Prashanth Shenoy, Vice President, Project Marketing VCF Division bei Broadcom