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Leitzentrale, Rettungssanitäter, Feuerwehr sowie die Polizei kommunizieren im Einsatz über Professionelle Mobile Radiolösungen (PMR). Diese haben sich im Vergleich zum kommerziellen Mobilfunk nicht weiterentwickelt – Beispiel Datenübertragung. Die modernere IP- und Breitband-Technologie bringt zwar Multimedia- und Kollaborations-Lösungen in die missionskritische Kommunikation, stellt den professionellen Mobilfunk allerdings vor zahlreiche Herausforderungen.

Gastbeitrag von Emmanuel Wensink, Product Line Manager für MCx Connect und Mitglied der Scientific Community bei Atos

Einsatzkräfte sind privat an Hochleistungs-Endgeräte mit modernen Funktionen gewöhnt. Beruflich müssen sie meist eine Professionelle Mobile Radiolösung (PMR) nutzen, die auf dem Stand der Mobiltelefone aus den 1990er Jahren sind. Dabei eröffnen mobile Datenanwendungen gerade im Sicherheitsbereich eine neue Dimension. Indem Rettungskräfte zum Beispiel Bilder, Videos, Landkarten oder Standortinformationen auf ihr Endgerät erhalten, können sie Situationen schneller und besser einschätzen. Das verschafft ihnen einen wertvollen Zeitvorteil, der Leben retten kann. In den bestehenden Schmalband-PMR-Netzen ist Datenübertragung jedoch nur sehr eingeschränkt möglich.

Unterschiede zum kommerziellen Mobilfunk

PMR wurde in den 1980er- und 1990er-Jahren entwickelt, um die speziellen Anforderungen von Einsatzkräften und Notrufzentralen, wie das Integrieren der Kommandozentralen sowie das Durchführen von Gruppenkommunikation, zu erfüllen. Herkömmliche Mobilfunknetze können das nicht gewährleisten und sind für die missionskritische Kommunikation damit nicht geeignet. Denn was, wenn sich ein Lawinenopfer im Funkloch befindet oder das Netz gerade wegen einer Grossveranstaltung überlastet ist? PMR ermöglicht jederzeit schnell, zuverlässig und sicher zu kommunizieren. Mittels Push-to-Talk-Funktionalität, ähnlich wie bei einem Walkie-Talkie, können sofort Verbindungen aufgebaut werden.

Um die Verfügbarkeit der Services zu garantieren, lassen sich Kommunikationsressourcen für einzelne Organisationen reservieren. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sorgt für Sicherheit und Datenschutz. Ausserdem gibt es Fallback-Mechanismen und eine redundante Stromversorgung, damit das Netz auch in Katastrophen-Szenarien noch funktioniert.

Die PMR-Technologien und der 3GPP-Standard

Die führenden PMR-Technologien in Europa sind Tetra und Tetrapol, die sich hauptsächlich im Kanalzugriffsverfahren unterscheiden. Die von Tetrapol eingesetzte FDMA-Technologie (Frequenzmultiplex) hat den Vorteil, dass sie eine grössere Funkreichweite ermöglicht und dadurch weniger Basisstationen für jede abzudeckende Fläche benötigt. Polycom, das nationale Funksystem der Behörden und Organisationen für Rettung und Sicherheit der Schweiz (Bors), basiert auf dieser Tetrapol-Technologie.

Da Schmalband-PMR-Netze die Datenübertragung einschränken, muss eine Umstellung auf Breitband erfolgen. Grundlage hierfür war die Unterstützung für Mission-Critical Push-to-Talk (MCPTT), die bereits 2017 mit dem 3GPP-(3rd Generation Partnership Project)-Release 14 eingeführt wurde. Das aktuelle Release 16 baut darauf auf und enthält auch Funktionen für missionskritische Daten- und Videoübertragung. Inzwischen drängen immer mehr Lösungen auf den Markt, obwohl die meisten immer noch als Nischenprodukte gelten. 5G wird all das jedoch ändern und die missionskritische Kommunikation zu einem Schlüsselmerkmal zahlreicher Services machen. Die erfolgreiche Einführung von PMR-Lösungen wird jedoch auch davon abhängen, dass die Lösungsanbieter die Interoperabilität ihrer Lösungen gewährleisten.

Migration auf IP-Technik schafft Basis für Breitband-Dienste

Der erste Schritt bei der Modernisierung der PMR-Netze ist der Umstieg auf IP-Technologie. Im Falle von Tetrapol bedeutet das einen Wechsel von Tetrapol TDM zu Tetrapol IP. IP erlaubt es, Sprache, Daten und Netzsteuerung in derselben Infrastruktur zu übertragen. Das ermöglicht neue Netzarchitekturen. Die IP-Technologie erhöht die Flexibilität und Effizienz der Netze, bietet Skalierbarkeit, hohe Zuverlässigkeit und eine schnelle Leitweganpassung bei Fehlern. Dabei hat Sprachübertragung Vorrang vor Datenübertragung, sodass die Qualität der Sprachkommunikation garantiert bleibt. Nur mit IP-Technik lässt sich die Kapazität des Backbones so steigern, dass hohe Datenübertragungsraten möglich sind.

Weil der Support ausläuft, müssen innerhalb der nächsten Jahre viele der Komponenten bestehender Tetrapol-Netze ausgetauscht werden. Eine Migration auf Tetrapol IP modernisiert die Infrastruktur rechtzeitig. Kernfunktionen werden mittels Software bereitgestellt – dann sind auch neue Funktionen für Breitband-Dienste unkompliziert implementierbar.

Hybride Netze in der Übergangsphase

Breitbanddienste für die missionskritische Kommunikation müssen genauso krisensicher und zuverlässig funktionieren wie die bisherigen PMR-Dienste. Kommerzielle 3G/4G-Netze erfüllen diese hohen Anforderungen nicht und bieten zudem keine Gruppenkommunikation. Daher können diese Netze das bestehende PMR-Schmalbandnetz nicht eins zu eins ersetzen. Die Sprachkommunikation bleibt zunächst weiterhin im PMR-Netz. Ergänzend kommen Datendienste über die kommerziellen Breitbandnetze hinzu. Bis 2025 sollen dann systematisch BORS-spezifische mobile Breitbandnetze aufgebaut werden. Anschliessend ist die schrittweise Migration der Sprachdienste auf diese spezifischen Netze geplant. Das hybride Modell erfordert es, komplexe Roaming-Szenarien zwischen verschiedenen Technologien und Netzbetreibern abzubilden.

Live-Stream per Drohne und intelligente Sicherheit in der Smart City

Der Aufwand für die PMR-Modernisierung lohnt sich, denn mit der Breitband-Technik lassen sich Mission Critical Pust to Talk (MCPTT) mit Multimedia- und Kollaborationslösungen kombinieren. Das bringt eine neue Dimension in die Zusammenarbeit von Einsatzteams. Sie können Fotos vom Unfall- oder Tatort, Videos, Sprachaufzeichnungen und Textdokumente teilen, sich per Instant Messaging in Gruppenchats austauschen oder Ad-hoc-Telefon- und Videokonferenzen abhalten. Drohnen streamen dank Breitband-Übertragung Live-Videos direkt auf die Endgeräte der Einsatzkräfte. Das erleichtert die Personensuche oder die Überwachung von grossen Menschenmengen erheblich.

Künftig ist es zudem denkbar, missionskritische Breitband-Dienste auch mit Smart-City-Konzepten zu verbinden. Die Stadt Eindhoven in den Niederlanden hat zum Beispiel bereits ein Projekt zur Risikobewertung in Ballungszentren eingeführt. Sie analysiert in Echtzeit Daten aus der Lärmmessung, Videoüberwachung und aus Social-Media-Aktivitäten, um drohende Sicherheitsprobleme zu erkennen und präventive Massnahmen zu ergreifen. Dabei kommt ein multidimensionales KI-System zur Crowd-Density-Berechnung zum Einsatz. Über die neue 5G-Funknetz-Generation können solche Anwendungen und Informationen direkt in die operativen Prozesse der Blaulichtdienste integriert werden. Noch aber stecken Breitbanddienste für die missionskritische Kommunikation in den Kinderschuhen. In den nächsten Jahren wird es darum gehen, Bedürfnisse zu erkennen und Dienste zu entwickeln, die den besten Mehrwert bringen.

Gastautor Emmanuel Wensink, Product Line Manager für MCx Connect und Mitglied der Scientific Community bei Atos
Gastautor Emmanuel Wensink, Product Line Manager für MCx Connect und Mitglied der Scientific Community bei Atos