Die ETH entwickelte die erste Programmiersprachen für Quantenrechner (Bild: ETH Zürich)

Mit der Quantentechnologie verbinden sich fantastisch anmutende Erwartungen und realistische Möglichkeiten, die unfassbar weit über das Vermögen traditioneller Computer hinausgehen. Wie weit diese technologische Revolution des 21. Jahrhunderts bereits fortgeschritten ist, wie die Technologie sich von der jetzigen unterscheidet und auf welchen Gebieten die millionen- und milliardenfach höhere Leistungsfähigkeit der Quantentechnologie ungeheure Lösungen und Verbesserungen in Aussicht stellt, untersucht der folgende Beitrag.

Von Lars Jaeger, Physiker, Mathematiker, Philosoph und Unternehmer

Ein immer populärer werdender, sich nichtsdestotrotz noch immer nach Science Fiction anhörendes Wort ist der Begriff "Quantencomputer". Noch vor 10 bis 15 Jahren schien die Konstruktion eines solchen Computers als "Zukunftstechnologie" immer noch unnahbar in der Zukunft zu liegen. Die Diskussion darüber war auf ein kleines Expertenteam beschränkt oder eben Stoff für Science-Fiction (ganz wie die Kernfusion als zukünftiger Energielieferant, wo sich zur Zeit auch viel tut). Wie für Nicht-Physiker in den 1940er Jahren die Begriffe "Transistoreffekt" oder "von Neumann-Prozessor" keine auch nur entfernt bekannte Begriffe waren, so galt dies bis vor kurzem auch für den Begriff Quantencomputer. Doch auch dieser könnte (wie Transistoren und von Neumann–Prozessoren ab ca. 1950) eine der bedeutendsten Technologien der Zukunft beschreiben. Das hat unterdessen eine weitaus grössere Menge an Menschen erkannt. Die Diskussion über Quantencomputer hat unterdessen gar den Mainstream, so auch u.a. Anleger, erreicht. Dahinter könnte eines der zahlreichen Beispiele stehen, dass eine solche technologische Entwicklung heute sehr viel schneller abläuft als noch vor 50 Jahren.

Den meisten Menschen ist allerdings noch völlig unklar, was ein Quantencomputer überhaupt ist. Alle heutigen Computer basieren prinzipiell noch vollständig auf der klassischen Physik, auf der so genannten Von-Neumann-Architektur aus den 1940er Jahren. Darin werden die einzelnen Rechenschritte sequentiell – "Bit für Bit" – abgearbeitet. Die dabei auftretenden kleinstmögliche Informationseinheit (ein genanntes "binary digit", kurz "Bit") nehmen dabei immer einen wohldefinierten Zustand von entweder 1 oder 0 an. Dagegen verwenden Quantencomputer die Eigenschaften von Quantensystemen, die nicht auf klassischen Bits reduzierbar sind, sondern auf Quantenbits basieren, kurz Qubit. Die können verschiedene Zustände von Bits, also 0 und 1, sowie alle Werte dazwischen simultan annehmen. Sie können also "halb 1" und "halb 0" sein, sowie in jeder andere mögliche Kombination davon. Diese Möglichkeit liegt jenseits unserer klassischen (alltäglichen) Vorstellungswelt, nach der ein Zustand entweder das eine oder das andere ist: "Tertium non datur", ist jedoch sehr typisch für Quantensysteme. Die Physiker nennen solche vermischten Quantenzustände "Superpositionen".

Aber die Quantenwelt bietet noch mehr: So können sich verschiedene Quantenteilchen in so genannten verschränken Zuständen befinden. Auch das ist eine Eigenschaft, die es in unserer klassischen Welt nicht gibt. Es ist, als ob die Qubits mit einer unsichtbaren Feder aneinandergekoppelt sind und dann allesamt direkt, ohne jede explizite Krafteinwirkung, in Kontakt miteinander stehen. Jedes Quantenbit „weiss“ sozusagen auch über jede beliebige Entfernung hinweg, was die anderen gerade treiben. Solche Verschränkungen waren in der frühen Quantenphysik Gegenstand heftiger Diskussionen. So hielt Albert Einstein Verschränkung für physikalisch unmöglich und nannte sie spöttisch „spukhafte Fernbeziehung“.

Unterdessen wird diese umstrittene Quanteneigenschaft jedoch bereits vielfach technologisch ausgenutzt. Quantencomputer sollen hier die Krönung darstellen. Sie könnten auf mindestens fünf Feldern ganz neue, fantastischen Möglichkeiten eröffnen:

  1. Kryptographie: Mit einem Quantencomputer liessen sich bestehende Verschlüsselungen aufheben, aber zugleich auch ganz neue einführen.
  2. Lösung komplexer Optimierungsaufgaben: Während klassische Computer oft bereits bei wenigen Parametern aussteigen, könnten Quantencomputer komplexere Optimierungsprobleme vergleichsweise schnell lösen.
  3. Bedeutende Anwendungen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz: Die harten kombinatorischen Optimierungsprobleme für „tiefe neuronale Netze“ könnten von Quantencomputern weitaus schneller und besser gelöst werden.
  4. Suche in grossen Datenbanken: Quantencomputer könnten die Zeit, in unsortierten Datenbanken nach Daten zu suchen, massiv verkürzen, bis dahin, dass ihre Zeit proportional der Wurzelfunktion der Dateigrösse ist, anstatt direkt proportional zu ihr zu sein, wie dies für klassische Suchmaschinen generisch der Fall ist.
  5. Auffinden neuer chemischer Verbindungen: Während die vielen Alternativen für die Bestimmung der bestmöglichen, d.h. energetisch günstigsten Konfiguration von Elektronen in komplexen Molekülen durchzugehen für herkömmliche Computer zu schwierig ist, könnten Quantencomputer das Verhalten der beteiligten Elektronen direkt abbilden.

Einige Physiker glauben sogar, mit einem Quantencomputer jegliche Problemstellungen in der Natur berechnen und lösen zu können, vom Verhalten schwarzer Löcher, der Entwicklung des ganz frühen Universums, der Kollisionen hochenergetischer Elementartteilchen bis hin zum Phänomen der Supraleitung sowie nicht zuletzt die Modellierung der 100 Milliarden Neuronen und die noch einmal eintausend mal grösseren Anzahl ihrer Verbindungen in unserem Gehirn. Quantencomputer könnten eine Revolution sowohl in der Wissenschaft als auch in der Technologiewelt darstellen. Vor weniger als zwei Jahren gab Google bekannt, dass seinen Ingenieuren die Konstruktion eines Quantencomputers gelungen sei, der zum ersten Mal ein Problem zu lösen vermochte, an dem sich jeder herkömmliche Computer die Zähne ausbeisst. Der entsprechende Computer-Chip Sycamore brauchte für eine spezielle Rechenaufgabe, für die der weltbeste Supercomputer 10'000 Jahre benötigt hätte, gerade einmal 200 Sekunden.
Es war auch die Firma Google gewesen, die bereits einige Jahre zuvor einer solchen Fähigkeit eines Quantencomputers, jedem existierenden klassischen Computer bei der Bewältigung bestimmter Aufgaben überlegen zu sein, einen Namen gegeben hatte: Quantum supremacy („Quantenüberlegenheit“).
Der Moment einer solchen „Quantenüberlegenheit“ schien also endlich gekommen zu sein. So einige sprachen gar von einem „Sputnik-Moment“ in der Informationstechnologie. Dabei hatte es sich wohl eher noch um einen symbolischen Meilenstein gehandelt, ist das von Sycamore gelöste Problem doch noch eher von sehr spezieller und rein akademischer Natur. Doch ohne Zweifel stellte es einen sehr bedeutenden Fortschritt dar (der allerdings teils auch in Frage gestellt wurde: So zweifelte IBM gar an der Quantennatur dieser Rechenmaschine).

Im Dezember 2020 kommunizierte dann ein hauptsächlich an der University of Science and Technology of China in Hefei angesiedeltes Team in der Zeitschrift Science, dass ein von ihnen entwickelter neuer Quantencomputer, dem sie den Namen „Jiuzhang“ gegeben hatten, bis zu 10 Milliarden Mal schneller sei als Google’s Sycamore. Dass diese Nachricht aus China kam, war nicht ganz so überraschend wie dies für alle war, die wenig mit der heutigen chinesischen Wissenschaft vertraut sind. Teils noch als Entwicklungsland und damit technologisch rückständig gesehen hat China unterdessen sehr stark in zukünftige Quantenrechner und andere Quantenprozesse investiert – sowie in Künstliche Intelligenz, Gentechnologie und eine Reihe anderer Spitzentechnologien. Die Regierung des kommunistischen Generalsekretärs Xi Jinping gibt über einige Jahre verteilt 10 Milliarden Dollar für das National Laboratory for Quantum Information Sciences des Landes aus.

Doch auch Jiuzhang war als Quantencomputer umstritten. Doch falls sowohl Sycamore als auch Jiuzhang ihre (immer noch sehr spezifischen) Probleme tatsächlich unvergleichbar schnell mit Quantentechnologien haben lösen können – und dies lässt sich nicht ohne weiteres mehr von der Hand weisen – so gäbe es bereits zwei Quantencomputer, die die angestrebte Quantenüberlegenheit erreicht haben. Von hier aus könnten wir schon sehr bald zahlreiche weitere Versionen erwarten, die immer mehr Probleme immer schneller zu lösen vermögen. So hat Google dann vor wenigen Wochen auch verkünden lassen, dass sie bis 2029 einen breit einsetzbaren (nicht mehr auf exotische Randprobleme limitierten) mächtigen Quantencomputer gebaut haben wollen (https://blog.google/technology/ai/unveiling-our- new-quantum-ai-campus/). Zu diesem Zweck wollen sie eine Millionen physikalische Qubits zusammenbringen, die in einem fehlerkorrigierenden Quantencomputer zusammenarbeiten (bei heutigen Quantencomputern liegt diese Zahl noch bei unter 100 Qubits).

Neben Google und dem chinesischen Forschungszentrum in Hefei gibt es noch zahlreiche weitere Entwicklungsstätten für Quantencomputer. Diese werden auch immer stärker von ihren jeweiligen Regierungen unterstützt. So verkündete Deutschland 2020, dass das Land milliardenschwere Investitionen in Quantencomputertechnologie tätigen wird.

Und gerade erst Mitte Juni präsentierten der US-IT-Riese IBM und die Fraunhofer-Gesellschaft den ersten Quantencomputer von "Big Blue" in Europa. Die Rechneranlage am Deutschlandsitz von IBM in Ehningen bei Stuttgart soll unter dem Dach der Fraunhofer-Gesellschaft genutzt werden, um die Technologie, die Anwendungsszenarien und die Algorithmen weiter zu erforschen, teilten die beiden Partner dazu mit. Darüber hinaus sollen mit dem Hochleistungsrechner Kompetenzen in Wirtschaft und Wissenschaft aufgebaut und damit internationale Wettbewerbsvorteile geschaffen werden. Bei der Anlage handelt es sich den IBM-Angaben zufolge um "Europas leistungsstärksten Quantencomputer im industriellen Kontext".

Und in diesen Tagen gab es noch eine weitere (geldstarke) Ankündigung: Cambridge Quantum Computing, ein 2014 gegründetes britisches Unternehmen, gab bekannt, dass es sich mit der Quantenlösungssparte des US-Industrieriesen Honeywell zusammenschliessen wird, um einen neuen Quantencomputer zu bauen. Dieser Deal bringt Honeywells Expertise in (Quanten)Hardware mit der von Cambridge Quantum in Software und Algorithmen zusammen. Daraus könnte ein (neben Google, IBM und den Chinesen) weiterer globaler Anführer in der Entwicklung von Quantenrechnern werden.

Ohne den Glauben, dass bereits erste Durchbrüche für die Erstellung von Quantencomputern erreicht wurden, würde wohl kaum schon so viel Geld in die Branche fliessen. Diese Summen werden sich vermutlich noch einmal multiplizieren, wenn weitere Fortschritte erreicht werden. Man könnte sich in die frühen 1970er Jahre zurückversetzt fühlen, bevor es kommerzielle Computer gab. Nur wird dieses Mal alles noch viel schneller ablaufen als damals.

Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmässige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Sein neuestes Buch „Sternstunden der Wissenschaft“ ist im Suedverlag erschienen.

Gastautor Lars Jaeger hat mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht (Bild: zVg)
Gastautor Lars Jaeger hat mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht (Bild: zVg)